RoMed Klinikum Wasserburg

Nagelfluhkapelle

Nagelfluhkapelle Wasserburg

In der zeitgenössischen Architektur ist der Kapellenbau eine beliebte Möglichkeit die Grenzen zur bildenden Kunst zu testen und quasi-skulpturale Statements zu schaffen, deren gestalterische Ambition und Konsequenz größere Bauten selten zulassen. Die berühmten Kapellen etwa eines Peter Zumthor sind dabei nur die Spitze eines stetig wachsenden Eisbergs begehbarer Plastik. Im selben Zeitraum hat sich die zeitgenössische Kunst dem Sakralbau vor allem von innen zugewandt, wobei das in diesem Kontext wohl bekannteste Werk, Gerhard Richters Fenster für den Kölner Dom, Außen- und Innenraum gleichermaßen prägt. 

Auch die Arbeiten von Daniel Bräg und Thierry Boissel sind Teil dieser Entwicklung. Unter dem Namen „Der dritte Mann“ hat das Künstler-Duo bereits Kapellen in Bad Homburg, Usingen und Bünde gestaltet. Während bildende Künstler sonst häufig nachträglich hinzugezogen werden, um in bestehende architektonische Verhältnisse einzugreifen, gehen Bräg und Boissel jedoch einen Schritt weiter. Für das Krankenhaus und die Psychiatrie Wasserburg haben sie eine Kapelle von Grund auf selbst als integralen Teil des Neubaus entworfen. Dieser neuen Wertschätzung entspricht eine zentrale Platzierung im Gesamtkomplex: Direkt im Eingangsbereich, in der Mitte zwischen Psychiatrie und Krankenhaus, setzt die bunte Glasfassade ein nicht zu übersehendes Zeichen. Die leicht konvexe Wölbung der durchgehenden Glaswand und die unregelmäßig über das Glas verteilten verschiedenfarbigen Butzen differenzieren die Kapelle deutlich von der eher gradlinigen Architektur des großen Foyers. Das opak strukturierte Glas gibt das Innere der Kapelle dem Blick von außen nicht sofort preis, erlaubt aber eine Ahnung vom Raum dahinter. So weckt der sichtbare und doch versteckte Raum Neugierde, gibt dem Eintretenden ein Gefühl von Schutz und Abgeschiedenheit. Das Glas lässt keine Blicke, dafür aber viel buntes Licht ins Innere. 

Dort angekommen ist man beinahe überrascht, dass sich hinter der Pracht der Glasfront ein fast schon bescheidener, in seinen Maßen nahezu privat anmutender Raum verbirgt, der vor allem Ruhe vermittelt. Die Besonderheit des Raums wird dennoch sofort an der schlichten, aber durchgehend organischen Gestaltung deutlich. Gleich der Glasfassade sind alle Wände merklich nach außen gewölbt. Eine im Ton leicht abgesetzte Spur führt in scheinbar beliebigen Kurven und Windungen aus dem Foyer durch die Tür und über den Boden der Kapelle. Mitten im Raum zeichnet die Spur eine Kurve um Altar und Ambo, deren charakteristische Form sie als Bild der Innschleife zu erkennen gibt. So eröffnet sich auch der durch die Kapelle laufende und sich verzweigende Streifen als Andeutung des für den Ort so prägenden Gewässers. Wie die Innschleife der Stadt Wasserburg ihre besondere Form gibt, formt sie hier Altar und Ambo, die zwar durch einen schmalen Spalt getrennt bleiben, aber doch eine fortlaufende, gestalterische Einheit bilden. Auch im Material der Prinzipalien ist das Thema fortgesetzt. Sie bestehen aus Nagelfluh, einem dezent bunten Konglomerat-Gestein, wie es sich im Bett des Inns findet. Die charakteristischen Einschlüsse gleichen in ihrer irregulären Form und Verteilung sehr den Butzen der Glasfassade und eröffnen schließlich auch den dezenten Terrazzo-Boden als Teil eines ästhetisch-thematischen Ganzen. Überall bildet eine bunte Vielfalt asymmetrisch geformter und scheinbar beliebig zusammengesetzter Elemente letztlich wie zufällig ein harmonisches Ganzes. In dieser Komposition spiegelt sich vielleicht auch die besondere Aufgabe der Krankenhauskapelle, in der Menschen jeglicher Herkunft und Konfession in den unterschiedlichsten Lebenslagen einen gemeinsamen Rückzugs- und Besinnungsort finden können.

Paul Bräg

Dr. Alexander Heisig

Die neue Kapelle der RoMed Klinik Wasserburg-Gabersee

Der Neubau ist als gemeinschaftliches Gebäude für die RoMed Klinik und das kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ehemals Bezirksklinikum Gabersee) konzipiert. Der westlich vor Wasserburg auf einer Anhöhe gelegene Ortsteil Gabersee ist ein traditionsreicher Krankenhausstandort. 1883 wurde hier die „Königlich Bayerische Heil- und Pflegeeinrichtung für Nervenkranke“ gegründet. Als Ausdruck eines zeitgemäßen Therapieansatzes entstand ein weitläufiges Areal im „Pavillonstil“, welches zu den bedeutenden und gut erhaltenen Zeugnissen dieses Typus mit hohem Denkmalwert zählt. Der Neubau befindet sich am nördlichen Rand des historischen Geländes und fügt sich in der Höhenentwicklung respektvoll in die vorgegebene Hanglage über dem Inn. Die mehrteilige Baugruppe besteht aus vier kubischen Einheiten für das Inn-Salzach-Klinikum, einem breitgelagerten Riegelbau für die RoMed Klinik und einem gemeinsamen, verbindenden Zwischentrakt als zentrale Ankunfts- und Aufnahmestelle. In diesem Entree, in unmittelbarer Sichtweite vom Empfang befindet sich die neue ökumenische Kapelle.

Das umfassende künstlerische Gestaltungskonzept entwickelten die Münchner Künstler Daniel Bräg und Thierry Boissel, die seit diesem Projekt gemeinsam auch als Künstlerduo „Der Dritte Mann“ firmieren. Leitthemen sind der für die Stadt Wasserburg charakteristische Nagelfluh und der markante Flusslauf des Inn. Letzterer nimmt seinen Anfang bereits vor der Eingangstür und durchläuft als subtile Intarsie (heller Terrazzo) diagonal den ganzen Kapellenraum. Neben dem Inn-Strom finden sich auch einzelne Zuflüsse, so dass der Boden sich in eine abstrahierte Landkarte verwandelt. Besondere Bedeutung kommt der berühmten, engen Innschleife zu, die die Altstadt von Wasserburg umschließt und nun den Umriss der liturgischen Prinzipalien definiert. Altar und Ambo stehen eng beisammen und sind doch durch einen prägnanten Schnitt und unterschiedliche Höhen formal und inhaltlich voneinander geschieden. Beide Teile sind aus monolithischem Nagelfluh gefertigt und zeichnen den geschwungenen Flusslauf dreidimensional als plastische Körper nach.

Die spezifische Materialität des Nagelfluh als Konglomeratgestein aus unterschiedlich großen, farbigen Kieseln und verbindendem Sediment wird in künstlerischer Weise in die gläserne Eingangswand übersetzt. Das Sediment bildet sich als reliefartig eingeprägte Struktur ab, während die bunten Kiesel als unterschiedlich große und freirhythmisch platzierte Butzenscheiben aus verschieden farbigem Glas wiedergegeben sind. Dieses Spiel von Struktur und Farbe lässt die Eingangsseite offen und einladend erscheinen, ohne die Kapellenbesucher visuell zu exponieren. Zugleich kann Tageslicht in den baulich bedingt fensterlosen Raum fallen.

Entsprechend den geschwungenen und gekrümmten Formen im Grundriss und damit auch in den liturgischen Orten sind in die rechtwinklige Baukubatur weite, konkav gespannte Wände (Trockenbau) eingestellt, die der Raumhülle Spannung verleihen, das geringe Raumvolumen optisch weiten, und einen bewussten Kontrapunkt zur funktionalen Architektur des Krankenhausbaus setzen. Das Motiv der gekrümmten Wand kulminiert in der gläsernen Eingangswand, die sich gestisch in das Foyer hineinwölbt und mit ihren weithin sichtbaren Farbpunkten Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die zweischalige Konzeption der Raumhülle ermöglicht darüber hinaus, in den Zwischenräumen weitere liturgische Ausstattungsstücke harmonisch und platzsparend einzufügen. Der Tabernakel ist in Analogie zu den Butzenscheiben der Eingangswand mit einer großen kreisrunden Scheibe aus blauem Glas geschlossen, in welches auch das Kreuzzeichen integriert ist. Dem Tabernakel antwortet auf der gegenüberliegenden Seite eine raumhohe Wandnische als Ort der persönlichen Andacht. Das Bild der Muttergottes ist als „Scherenschnitt“ aus blauem Glas gearbeitet. Ein darunter befindlicher, wandbündiger Sockel aus Nagelfluh und ein verdeckter Rauchabzug erlauben – in für Krankenhäuser seltener Weise – die Aufstellung echter Kerzenlichter als Ausdruck des Gebets und des individuellen Anliegens.

Der bewusste und durchgängige Verzicht auf rechte Winkel und achsensymmetrische Bezugspunkte setzt sich auch in der Deckengestaltung fort. Unterschiedlich große, runde Deckenleuchten sorgen für eine ausreichende Beleuchtung, kaschieren geschickt die technischen Notwendigkeiten von Brandschutz, Lüftung und Akustik und akzentuieren die liturgischen Orte. Das freie Spiel der Deckenleuchten vermittelt wiederum feinsinnig in das Foyer mit seinen geradezu plastisch zueinander komponierten, abgehängten Ringleuchten.

Das künstlerische Konzept der Wasserburger Klinikkapelle verbindet in beispielhafter Weise Funktionalität mit hoher Sinnlichkeit und gestalterischer Qualität. Die formalen und inhaltlichen Bezüge schaffen Identität und sind gut erfass- und erlebbar. Die farbigen Glaselemente strahlen eine freundliche, zuversichtliche, ja heitere Atmosphäre aus, die der Bestimmung der Kapelle und dem Befinden ihrer unterschiedlichen Besucher – Patienten, Angehörige, Ärzte, Pflegepersonal – gut tut und Hilfestellung leisten kann. Schließlich entsteht ein spirituell-liturgischer Raum, der dem ökumenischen Geist im besten Sinne Rechnung trägt, und einen wichtigen Beitrag zu Heil und Heilung leisten kann.





Foto Oben: Thierry Boissel, Fotos Galerie: Achim Bunz (außer 2)

    1. Preis CODAAwards 2023

    „Beautiful work. Fully integrated art/glass with the chapel. It is a subtle, but exquisite project. The fabrication of the glass is outstanding, as is the concept. The artwork has a spiritual quality which makes it perfectly ’site-specific.'“

    — SANDRA BLOODWORTH, Director, MTA Arts and Design