Bad Homburg und Usingen

 

 

Bad-Homburg – Maria Knotenlöserin

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Text von Christine Jung:

Raum für Heilung

Kunst in den Kapellen der Hochtaunus-Kliniken von Thierry Boissel und Daniel Bräg

Kapellen sind Orte der Stille und des Rückzugs, sie sind Stätten der Besinnung, der Andacht und des Gebetes. In den 2014 eröffneten Hochtaunus-Kliniken bieten sie darüber hinaus Raum für neue Begegnungen, für ein anderes Wahrnehmen und Erleben. Es ist die Kunst in den Sakralräumen, die den Besucher einlädt zum Innehalten, zur Meditation. Hier, inmitten des regen Krankenhausbetriebes, bietet sie ihm Raum für immer wieder neue Betrachtungen, für eine – im wahrsten Sinne des Wortes – andere Sicht auf die Dinge.

Die Rede ist von den Klinikkapellen in Bad Homburg und Usingen, die im Auftrag der Evangelischen Kirche Hessen Nassau und des Katholischen Bistums Limburg ausgestattet wurden. Ihre künstlerische Gestaltung übernahmen der französische Glasmaler Thierry Boissel und der deutsche Bildhauer Daniel Bräg, die beide als Lehrer an der Akademie der Bildenden Künste München tätig sind. Gemeinsam haben sie das Konzept für die liturgische Ausstattung entwickelt, die sich dem zentralen Thema des Ortes, der Heilung, widmet. Entstanden ist eine umfassende Raum- und Lichtgestaltung, die in vielschichtiger Weise auf den Bau und die spezielle Situation in den Kliniken eingeht.

Fenster im Wandel

Bereits in der Ansicht der Kapellen von Außen bietet sich dem Besucher des Krankenhauses eine besondere Perspektive: Wer durch das Hauptportal der Hochtaunus-Kliniken geht, erblickt gegenüber vom Eingang eine Wandgestaltung, die sich deutlich von der Umgebung unterscheidet. Im spannungsreichen Kontrast zur lichthellen und kubischen Architektur des Krankenhauses kommt hier das ziegelrote Mauerwerk eines Rundbaus zum Vorschein: Ein Bau im Bau, fast gleichartig in beiden Häusern, der auf einen besonderen Ort in seinem Innern verweist. Aus dem lichtdurchfluteten Eingangsbereich kommend wird der Besucher beim Betreten der Kapellen dann auch sogleich in eine andere Welt versetzt. Umgeben von den Backsteinwänden findet er sich wieder inmitten eines kreisrunden Raumes, in den durch die schmalen Fensteröffnungen farbig verdichtetes und gedämpftes Licht eindringt. Diese auf unterschiedlichen Höhen, im wechselreichen Auf und Ab angeordneten Verglasungen wirken in ihrer intensiv leuchtenden, elementaren Farbigkeit voller Energien und Assoziationen. Sie erscheinen mal in fließendem oder himmlischen Blau, in feurigem Rot oder erdigem Orangebraun, mal in sonnigem Gelb oder luftig lichtem Weiß. Es sind diese mit Schmelzfarben bemalten und teilweise satinierten Fenster, die nicht nur farbige Akzente setzen, sondern vielfältig in das Innere hineinwirken, die den Raum verwandeln und ihm eine besondere Atmosphäre verleihen. Dabei zeugen sie von einem reichen Innenleben: Sie zeigen ein wechselvolles Licht- und Schattenspiel, in dem die Umrisse verschiedener, sich verdichtender Formen im Hell und Dunkel aufleuchten. Man sieht geradlinige oder geschwungene Konturen, man erblickt runde oder röhrenartige Formen und immer wieder splitterartige Fragmente. Diese tauchen hintergründig in vielfachen Schichtungen und Staffelungen auf, in strenger Ordnung oder in wechselvollen Zusammenhängen: Sie wirken wie abstrakte Kompositionen, die ihren Gegenstand erst bei näherer Betrachtung, aus einem anderen Blickwinkel zu erkennen geben. Denn vieles, was sich im Innern der Andachtsräume schemenhaft darstellt, zeigt sich von Außen in seiner wirklichen Gestalt, als ein realer, funktionaler Gegenstand. Vor allem in der Usinger Kapelle wird dies deutlich vor Augen geführt, da hier der Bau rundum von allen Seiten sichtbar ist. Zu erkennen sind in den Fenstern verschiedene transparente oder transluzente Materialien aus dem Krankenhaus: Reagenzgläser, Flaschen, Strohhalme und Trinkbecher, aber auch Beatmungsschläuche, die in vollkommener oder zerkleinerter Gestalt in den doppelverglasten Fenstern, zwischen zwei Glasscheiben angeordnet sind. Es handelt sich dabei um Dinge des täglichen Gebrauchs, die zum Heilungsprozess beitragen: Medizinische Utensilien aus dem Klinikalltag, die aus ihrem Zusammenhang herausgelöst sind und in einem neuen, anderen Kontext auftauchen. Während sie von Draußen deutlich zu erkennen sind, verwandeln sie sich im Innern der Kapellen in etwas Abstraktes, vielfältig gestaltet vom Licht, das sie durchdringt und durch die bemalten Frontscheiben fällt. In diesen Zusammenhang erscheinen sie wie abstrakte Heilungsbilder, die von mehreren Seiten, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können.

Sakrale Objekte

Aber nicht nur die Verglasungen, auch die Objekte im Raum verweisen auf einen derartigen Hintergrund. In hellen sandsteinfarbenen Tönen erheben sich Altar, Lesepult und Tabernakelstele, die in ihrer Formgebung die Wölbungen des Raumes aufnehmen. Dabei wirken sie wie plastische Werke, gebildet aus einem Naturstein, mit verschiedenen Einschlüssen oder Einlagerungen im Material, die an organische Formen erinnern: An Muscheln oder Fossilien, die sich im Laufe der Zeit mit dem Stein verbunden haben, mit ihm verwachsen sind. Und doch: Auch hier fand eine Verwandlung statt, auch hier sind es wieder die Instrumente aus der Klinik, die in fragmentarischer Form in einen neuen, ganz anderen Zusammenhang eingebunden sind. Sie wurden von den Künstlern in den Stein eingearbeitet, genauer gesagt, in eine gegossene Betonmasse eingefügt, die nach dem Aushärten in eine ovale Form geschnitten worden ist. Und zwar mitten durch die einzelnen Stücke, die nunmehr bruchstückhaft in den Öffnungen an der Oberfläche auftauchen. Erst bei näherer Betrachtung geben die sakralen Objekte ihren Inhalt preis: Zum Vorschein kommen Scherben von Gläsern und Flaschen, Fragmente von medizinischen Gefäßen, die mit dem Stein zu einer neuen Einheit verbunden sind.

Von einer anderen Art der Verwandlung zeugen die Gegenstände und Symbole aus klarem transluzentem Glas. Dazu gehören die Taufschale, das Weihwasserbecken und das an der Wand angebrachte Kreuzzeichen. Sie alle bestehen aus farblosem, massivem Glas, heiß verformt aus mehreren Schichten von zerkleinerten Restgläsern, die vollständig aufgelöst und unsichtbar miteinander verschmolzen sind. Eine vollkommene Transformation hat hier stattgefunden, die auf einen weiteren Prozess, eine weitere Stufe der Verwandlung verweist. Es ist die vollständige Umformung eines Gegenstandes in einen anderen, die Umgestaltung der Materialien aus dem Krankenhaus in ein neues Werk, in ein sakrales Objekt. Mit anderen Worten, es ist die Umwandlung ihres zerbrochenen Zustandes in ein neues „heiles“ Ganzes, das hier als ein weiteres vielschichtiges Sinnbild für Heil und Heilung erscheint.

Symbole des Heilens

Immer wieder geht es den Künstlern in diesen Werken um die Sichtbarmachung von Prozessen der Verwandlung, von Veränderung und Erneuerung, die sich auf den Ort und die besondere Situation in einer Klinik beziehen. Denn auch hier geht es um die Verwandlung von Krankheit in Gesundheit, um Behandlung, Linderung und Genesung. Es geht um das wieder Heil-Werden, aber auch um Begleitung und Versorgung von Anfang bis Ende. Indem die Künstler medizinisches Gerät, einfache Hilfsmittel in einen anderen Kontext setzen, verleihen sie ihnen eine neue Ästhetik, eine neue Sinnlichkeit und einen neuen Sinn, mehr noch: sie werden zu etwas Anderem, Besonderem: „Aus Symbolen der Krankheit werden Symbole der Heilung“: Das heißt, das, was auf den ersten Blick irritierend oder auch befremdend wirkt, an Leid und Krankheit erinnert, erscheint aus einer anderen Perspektive heraus, als Sinnbild der Hoffnung und Rettung. Kunst beschreibt hier immer einen Prozess der Wandlung bzw. der Heilung und macht ihn auf mehreren Ebenen erfahrbar, nicht nur durch den direkten Standortwechsel, sondern auch durch eine veränderte Sichtweise. Zu sehen sind auf den ersten Blick gegenstandsfreie Werke, die bei genauer Anschauung etwas Unerwartetes, eine Wirklichkeit aufzeigen, um dann wieder über den Gegenstand hinaus auf etwas Abstraktes zu verweisen. In diesem Sinne laden sie die Besucher zu einem immer wieder neuen Sehen ein. Sie laden zu immer neuen Betrachtungen ein, hier, in dieser sakralen Stätte inmitten der Klinik, in der sich viele Fragen nach dem Sinn stellen, nach Krankheit und Gesundheit, nach Leben und Sterben, nach Leid und Glück. Es ist dieser Ort der Religion und des Glaubens, der den Besuchern viel Raum lässt zum Nachdenken, zur Meditation, für das Gebet und die Andacht. Er bietet ihnen ein Refugium im Klinikalltag, zum Kraftschöpfen, einen Raum der Ruhe und Geborgenheit, der Schutz und Trost spendet. Und er bietet ihnen darüber hinaus eine Stätte der Begegnung, der Auseinandersetzung und des Dialoges: Einen Raum für neue An- und Einsichten, in dem vieles in einem immer wieder neuen, sich ständig wandelnden Licht erscheint.

Fotogalerie Bad-Homburg:

 Fotogalerie Usingen:

Die Kunst von Daniel Bräg und Thierry Boissel
für den Andachtsraum der Hochtaunuskliniken Usingen

„Sowas habe ich in einer Kapelle noch nie gesehen“, sagte eine Krankenschwester beim Anblick der Fenster. „Ein bisschen hab‘ ich mich sogar erschrocken“, meinte sie, „da sind ja Gegenstände aus dem Krankenhaus drin“ Tatsächlich, von außen sehen wir Beatmungsschläuche, Reagenzgläser, Becher und zerbrochene Glasbehälter ganz deutlich. Auch wenn man zweimal hinschauen muss. Denn das erwartet kaum jemand an dieser Stelle. „Aber Innen ist es ganz zauberhaft“, erzählt die junge Frau weiter. „Drinnen verwandeln sich die Dinge, die in den Fenstern stecken.“ Verwandlung ist das Thema dieser Gestaltung. Darum geht es ja auch in einer Klinik: Kranke Menschen werden in gesunde verwandelt. Angst wandelt sich in Hoffnung. Schmerzen verwandeln sich in Heilung und Sorge in Dankbarkeit.

Der Altar und das Lesepult sind auch aus einer Verwandlung hervorgegangen. Die elliptische Form gibt ihnen etwas Eigenes. Fast wie Skulpturen stehen sie da. Farbe und Material erinnern an Sandstein, die Einschlüsse und Löcher an uralte Ablagerungen. Als hätten die Erde, das Meer und das Leben selbst diese Steine gebildet. Erst bei genauem Hinsehen zeigt sich ein Geheimnis: Die eingeschlossenen Stücke bestehen nicht aus Muscheln oder anderen Fossilien. Es sind Reagenzgläser und Fläschchen aus der Klinik. Sogar die Papieretiketten sind noch dran. Der Stein wurde gegossen und die Gläser darin eingelagert. Die Masse wurde hart und in Form geschnitten. Der Schnitt geht mitten durch die Glasstücke. So verwandeln sich Utensilien aus dem Klinikalltag zu Spuren des Lebendigen, rätselhaft schön wie ein Stück aus einer Korallenbank.

Ohne Worte stellen die Kunstwerke vor Augen, was Christen von Jesus glauben: Er trägt unsere Krankheit. In ihm findet wir Geborgenheit. Wie der Stein die Gläser in sich aufgenommen hat, so verwandelt Gott unser verletztes oder zerbrochenes Leben wieder in etwas Ganzes. Am Ende trägt Jesus sogar unseren Tod. Dafür steht das Kreuz. Wie ein Kristall sieht das Glaskreuz an der Wand aus. Gar nicht mehr wie ein Werkzeug zum Töten. Eher ein Siegeszeichen. Verwandelt in etwas Schönes und Tröstendes. Das erinnert daran, was Christus sagt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

Die Kunst von Daniel Bräg und Thierry Boissel
für den Andachtsraum der Hochtaunuskliniken Usingen

Solche Themen gehören zu einer Klinik. Und sie gehören schon immer zum Glauben an Gott. In früheren Zeiten hätte man vielleicht Heilige in den Fenstern dargestellt. Aber die meisten Heiligen waren ja Menschen, die viel Leid ertragen haben. Normalerweise wurde das auch gezeigt. Und wenn es nur symbolisch war durch ein Messer, einen Giftbecher oder eine Zange. Sehr oft wurden auch Krankheiten und Heilungen auf Bildern in Kirchen gezeigt. Besonders dann, wenn es sich um Hospitalkirchen handelte. Wie beim berühmten Isenheimer Altar, der heute in Colmar steht. Die geschundenen Körper auf der Tafel mit der Versuchung des Heiligen Antonius sind kein schöner Anblick. Aber wer sie sah, wusste: Hier werde ich ernst genommen!

Ein Andachtsraum darf deshalb auch nachdenklich machen. Weil die Menschen ernst genommen werden. Die Wirklichkeit wird nicht ausgeblendet. Aber der Blick auf die Dinge verwandelt sich. Die Kunstwerke helfen dabei. Aus Symbolen der Krankheit werden Symbole der Heilung. Die Becher, Gläser und die Schläuche in den Fenstern – es ist ja ein Segen, dass es sie gibt. Auch die Beatmungsschläuche. Sie hier zu sehen, das werden der eine oder die andere als Zumutung empfinden. Aber auch in diesen Dingen steckt die Hoffnung auf Heilung, auf ein besseres Leben. Verborgen in ihnen liegen Liebe und Schönheit. Der Wechsel von draußen nach drinnen macht das erlebbar. Es bleibt das Wissen, worum es sich bei diesen Dingen handelt. Denn Religion ist nicht dafür da, dass wir unsere Last vergessen. Menschen, die an Gott glauben, dürfen stattdessen erwarten, dass ihre Last mitgetragen wird. Im Vertrauen darauf werden sich Patienten und Angehörige an diesem Ort seelische Kraft holen. Und dann verwandelt sich etwas in ihnen.

Text: Pfarrer Dr. Markus Zink (Zentrum Verkündigung der EKHN, Frankfurt)

Kunstwerke: Daniel Bräg und Thierry Boissel GbR (München)